Die schwersten Wege werden alleine gegangen,
die Enttäuschung, der Verlust, das Opfer sind einsam.
Selbst der Tote der jedem Ruf antwortet
und sich keiner Bitte versagt
steht uns nicht bei
und sieht zu ob wir 's vermögen.
Die Hände der Lebenden, die sich ausstrecken
ohne uns zu erreichen
sind wie die Äste der Bäume im Winter.
Alle Vögel schweigen. Man hört nur den eigenen Schritt
und den Schritt,
den der Fuß noch nicht gegangen ist,
aber gehen wird.
Stehenbleiben und sich umdrehen hilft nicht.
Es muss gegangen sein.
Nimm eine Kerze in die Hand
wie in den Katakomben,
das kleine Licht atmet kaum.
Und doch
wenn du lange gegangen bist,
bleibt das Wunder nicht aus,
weil das Wunder immer geschieht,
und weil wir ohne die Gnade nicht leben können.
Die Kerze wird hell vom freien Atem des Tags,
du bläst sie lächelnd aus.
Wenn du in die Sonne trittst
und unter den blühenden Gärten die Stadt vor dir liegt,
und in deinem Hause dir der Tisch weiß gedeckt ist
und die verlierbaren Lebenden
und die unverlierbaren Toten
dir das Brot brechen
und den Wein reichen
und du ihre Stimme wieder hörst
ganz nahe
bei deinem Herzen.
Hilde Domin aus: Gesammelte Gedichte, Fischer Verlag, Frankfurt 1987