"Der Tod ist das Tor zum Licht am Ende eine mühsam gewordenen Weges." Franz von Assisi
Erinnerungen.
Sie hat sich alles feinsäuberlich aufgeschrieben: über zwölf Seiten hat sie sich vorab notiert, über was sie alles mit mir sprechen möchte.
"Ich bin Besuch nicht mehr gewöhnt. Ich habe Angst, dass ich was wichtiges vergesse!"
Wir sitzen in der kalten Wohnstube. Vorsichtshalber hat sie einen uralten Heizstahler aufgestellt - falls mir - dem Besuch kalt werden sollte. Die Heizung ist ausgefallen.
Sie blättert mit bebenden Fingern, um mir von ihrem Leben zu erzählen.
Drei Seiten weiter ist ihre Zahnprothese ein wichtiges Thema.
Auf dem nächsten, eng beschrieben Blatt ihre Befürchtung, an Depression zu leiden, weil sie so antriebsarm ist.
Umblättern: Ihr "Buckel" und der geplante Besuch beim Orthopäden, der wegen Antriebslosigkeit immer wieder von ihr verschoben wurde.
Die nimmt keine Tabletten, trinkt keinen Kaffee, keinen Alkohol und zum Mittag gibt es Nudeln und Fischstäbchen.
Dass der Supermarkt in der Innenstadt wegen einer Renovierung länger geschlossen hatte, bekümmerte sie:
"Ich kann weiter nicht laufen!"
"Und wo haben sie dann eingekauft?"
"Ich hab mir mal ein Baguette beim Bäcker mitgenommen. Ansonsten hab ich im halt sehr wenig gegessen." Wir sitzen im kalten Wohnzimmer. Es gibt keinen, der kommen würde.
Sie ist über 90 Jahre.
Ich bin ihr erster Besuch seit Jahren (Inge Wollschläger)