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von Rainer Liepold

Warum das eine kranke Phantasie ist

Die Visionen des Digitalmilliardärs Peter Thiel

„Ich widerspreche der Ideologie, dass der Tod eines jeden Individuums unvermeidlich sei!“ So hätte eine Predigt zum Ewigkeitssonntag beginnen können. Und tatsächlich, diese Worte stammen von einem Mann, der fest an die Untersterblichkeit glaubt. Aber wenn er sein Glaubensbekenntnis detailliert erläutern würde, wäre wohl das Befremden im Gottesdienst groß: „Ich bleibe meinem Glauben aus Jugendjahren verbunden“ – fährt er nämlich fort – „dem Glauben an echte menschliche Freiheit als höchstem Grundwert, so dass ich aufbegehre gegen jede Form von staatlicher Besteuerung und einengender Kollektivität.“


Peter Thiel ist 54 Jahre alt, Deutschamerikaner und einer der großen Pioniere der Digitalisierung. Er war Mitgründer des Internetbezahldienstes „PayPal“, Investor bei „Facebook“ und ist heute Teilhaber des auf Überwachungssoftware spezialisierten Startups „Palantir“. Sein Vermögen wird auf 2,7 Milliarden Dollar geschätzt. Und seine Visionen stoßen auf offene Ohren: Er wirbt für eine Zukunft, in der der technische Fortschritt ganz neue Formen von Freiheit denkbar macht. Dazu gehört auch die Überwindung des Todes, ist Thiel überzeugt. Er unterstützt deshalb mit Millionenspenden die SENS-Stiftung, die sich die Bekämpfung des biologischen Alterns auf die Fahnen geschrieben hat. Jährlich zeichnet sie mit der Verleihung des „Methusalem-Maus-Preises“ Forschende aus, die mit gentechnischen Eingriffen die Lebensdauer von Hausmäusen künstlich verlängern. Für Thiel ist klar, dass die dabei gewonnenen Erkenntnisse sich auf den Menschen übertragen lassen. Am Ende wird dann unsere Unsterblichkeit stehen. Er selbst rechnet damit, dies noch zu erleben.


Doch wie wird dieses ewige Leben aussehen? Nicht nur die Banden des Todes will der Milliardär zerreißen. Er will zugleich auch frei werden von den Normen, die uns verbinden und das derzeitige soziale Leben prägen. Demokratie? Das ist in seinen Augen eine illegitime Einschränkung der individuellen Freiheit. Kräftig gespendet für den Wahlkampf von Donald Trump hat er zwar. Aber danach war er enttäuscht: Trump habe als Präsident „viel zu wenig disruptiv“ gehandelt. Thiel hätte sich nämlich eine möglichst weitgehende Zerstörung des Staates gewünscht. Jede Form von Staatlichkeit lehnt er grundsätzlich ab. Bürger*innen auf gemeinsame Gesetze zu verpflichten? Allein dies sei schon totalitär! Glaubt der erfolgreiche Investor stattdessen an den Wettbewerb? Sind dann vielleicht die freien Märkte, Leistungstransparenz und Wettbewerb die Triebfedern menschlicher Kultur? Wieder winkt der 2,7-fache Milliardär ab. Seine Diagnose lautet: Nur wer ein Monopol erlangt, kann so unermesslich reich werden, dass er damit einen technologischen Quantensprung – etwa in Richtung Unsterblichkeit – auf den Weg bringen kann.


In Thiels Zukunftsvision leben Menschen wie er auf künstlichen Inseln in der Südsee. Und sie leben nicht nur dort, sondern sie werden in gewisser Weise selber zu Inseln: Jeder ist dann nur noch sich selbst und den eigenen Visionen verpflichtet. Ihre künstlichen Refugien auf dem Meer liegen außerhalb aller 200-Meilen-Zonen. So gehören ihre Bewohner*innen keinen Nationen mehr an. Sie sind schlichtweg von allen Bindungen befreit. Peter Thiel möchte diese Ego-Eilande mit Angehörigen der technischen Elite besiedeln. Eine „soziale Elite“ wäre für den libertär denkenden Milliardär ja auch ein Widerspruch in sich. Schließlich hemmt jede Form von sozialem Leben die Umsetzung technischer Visionen. Doch den visionären Ehrgeiz von Menschen wie Elon Musk vor Augen, stellt Thiel fest: „Anders als in der Welt der Politik können in der Welt der Technik die Entscheidungen der Einzelnen immer noch von vorrangiger Bedeutung sein. Das Schicksal unserer Welt kann von der Anstrengung einer einzelnen Person abhängen, die das Räderwerk der Freiheit baut oder verbreitet, die die Welt für den Kapitalismus sicher macht.“


Erst durch digitale Überwachungsprogramme – Thiel ist Anteilseigner von „Palantir“ – dem Kapitalismus die Welt sichern. Dann einer Elite von Ego-Insulanern die Unsterblichkeit ermöglichen? Und das alles erklärtermaßen ohne jegliche Form von sozialer Verantwortung? Das Spannende an Peter Thiel ist, dass er seine Agenda völlig offen verfolgt!


Diese Vision von der Unsterblichkeit ist Ausdruck eines entfesselten Egos. Doch das ist nicht wirklich etwas Neues. Schon die ägyptischen Pyramiden und chinesischen Kaisergräber erzählen davon: Männer, die unbegrenzt Macht hatten, waren nicht willens, den Tod als Grenze zu akzeptieren. Dass weniger privilegierte Zeitgenossen einen hohen Preis für ihre Unsterblichkeitsphantasien zahlen mussten, war ihnen egal.


Peter Thiel steht für eine Einstellung, die der Philosoph Rosa als „Prinzip der unablässigen Reichweitenvergrößerung“ beschreibt. Das rastlos verfolgte Ziel ist, „Märkte zu erschließen, Potentiale zu aktivieren, technische Möglichkeiten zu vergrößern, die Wissensbasis zu erweitern, um immer mehr Welt verfügbar zu machen“. Doch diese Haltung führt am Ende dazu, dass uns die Welt entgleitet und das Zusammenleben vergiftet wird. Die Welt wird dann nämlich vorrangig als ein Feind wahrgenommen, der sich der Optimierung eigener Lebensziele in den Weg stellt. Und der Mitmensch ist entweder Konkurrent oder lästiger Zeit-Dieb und Im-Weg-Steher. Gerade durch den Wunsch, sich die Wirklichkeit verfügbar zu machen, entgleitet sie dem Menschen. Denn „Lebendigkeit entsteht nur aus der Akzeptanz des Unverfügbaren“, lautet das Resümee von Hartmut Rosa. Und der Tod ist der große Lehrmeister der Unverfügbarkeit. Nichts macht uns unsere Grenzen mehr bewusst, als die Tatsache, dass wir sterben müssen.


Der November hat den Blick auf die Sterblichkeit gelenkt. An Allerheiligen und zum Ewigkeitssonntag wurden die Kirchen zu Resonanzräumen der Trauer. Wir haben gemeinsam erlebt, dass es schmerzt, wie der Tod innige soziale Bindungen abschneidet. Dabei versichern wir uns zugleich der bleibenden Bedeutung sozialer Bindungen. Denn auf den Ego-Inseln, von denen Peter Thiel träumt, gäbe es keine Friedhöfe. Die Hightech-Übermenschen dort hätten ja nicht nur den Tod überwunden, sondern sich auch von allen sozialen Beziehungen freigemacht. Mit dem Verschwinden der Trauer würden auch die Sorge und die Liebe zu Episoden einer vergangenen Epoche der Menschheitsgeschichte.


„O Ewigkeit, du schöne, mein Herz an dich gewöhne“: Wenn am Ewigkeitssonntag der Toten gedacht wird, erklingt in vielen Kirchen dieses Lied. Sein Dichter, Gerhard Tersteegen, ahnt aber nicht nur die Schönheit eines jenseitigen Lebens bei Gott. Er weiß auch, wie beglückend es ist, hier auf Erden zu leben und wie wertvoll andere Menschen für uns sein können. Deshalb sollten Christen dieses alte Lied laut und fröhlich zu singen. Unsere alten Lieder sind heute auch Protestgesänge: Wir singen gegen die menschenverachtende Vorstellung eines von Peter Thiel erträumten und mit viel Geld auf den Weg gebrachten Übermenschen an.