Wir schauen auf das Leben zurück, auf die Menschen, die in diesem Jahr von uns gegangen sind. Wir trauern um sie, weil jeder, der nicht mehr da ist, eine schmerzliche Lücke hinterlässt.
Er oder sie fehlt einfach. Sein Lachen oder Granteln, ihre Fröhlichkeit und ihr Tief-sinn, das liebe Gesicht, die faltige Hand. Die Stimme, der Duft. Niemand ist unverzichtbar. Jeder hat seinen Platz im Leben.
Es ist deshalb so wichtig, dass in den Gottesdiensten am Ewigkeitssonntag die Namen der Verstorbenen laut gelesen werden. Ihre Namen erklingen, die Menschen erscheinen einem vor dem inneren Auge. Und wir hoffen, dass die Erinnerung wie ein goldenes Band ist, das uns verbindet, bis wir uns wiedersehen. Ich selber vertraue ganz fest darauf, dass es ein Jenseits gibt, in dem wir unseren Lieben nach unserem Tod begegnen.
Wir machen uns ja alle unsere Bilder vom Himmel und werden sehen, was davon zutrifft – oder ob wir ganz und gar überrascht werden. Wie das Jenseits aussieht, liegt in Gottes Hand. Auf jeden Fall können und sollen wir darauf vertrauen, was in der Bibel, im Evangelium des Lukas geschrieben steht: „Freut euch, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind“ (Lk 10,20).
Ewigkeitssonntag: Zeit, zu bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden. So heißt es in einem Psalm des Alten Testamentes (Ps 90). Gemeint ist damit, dass wir vom Ende her denken sollen – und mit diesem unserem Leben behutsam umgehen. Ich baue auf die Gnade Gottes, die mich nach diesem Leben in der Ewigkeit landen lässt – wie all die Menschen, die ich liebte, die vor mir gegangen sind und an die ich am Ewigkeitssonntag denke.
Nein, mich treibt nicht die Frage um, ob es nach dem Tod etwas gibt. Das glaube ich fest. In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen, sagt Jesus. Und dass er hingeht, uns die Stätte zu bereiten. Wenn ich ihm nicht glaubte, wem dann? Unser Leben ist unendlich kostbar. Unser ganzes Dasein hier auf Erden ist von vornherein erlöstes Leben – in seiner Ambivalenz, mit seinen Abstürzen, mit allen Höhen- und Gleitflügen.
Unwiederholbares, einzigartiges Leben, das durch den Tod hindurchmuss und – verändert - bleibt. „Was man von der Minute ausgeschlagen, / Gibt keine Ewigkeit zurück“ sagt Friedrich Schiller in einem Gedicht mit dem Titel „Resignation“. Die Ewigkeit ist keine Vertröstung auf ein aus-gleichendes Jenseits. Ewigkeit, das sagt nach unserem Glauben, dass un-ser individuelles Leben nicht verloren geht.
Und diese Ewigkeit macht deutlich, dass schon die Gegenwart wichtig ist. Gleich, wie lange das eigene Leben oder das anderer währt, es ist „köstlich“ und entsprechend ehrenwert. Immerhin gibt es die Rede vom Welt-gericht, in der Jesus uns entweder zu seiner Rechten schickt oder zur Linken. Je nachdem heißt das, Jesus will einen nicht mehr sehen. Oder es heißt ewige Gemeinschaft mit ihm.
Allein aus Gnaden kann ich in die Ewigkeit gelangen. Da ist auf jeden Fall eine größere, festere Hoffnung als das Kalkül mit meinen vermeintlichen Leistungen. Der Gedanke an die letzte Reise weist den Dingen des Lebens ihren rechten Platz zu: Was ist wichtig? Was ist unwichtig? Herr lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden. Eine blutvolle, pulsierende, lebensbejahende Einsicht.
Sie hilft, mit den Dingen, vor allem den Menschen meines Lebens zart, behutsam, respektvoll, begeistert und voller Liebe umzugehen. Auch am Ende. Denn Sterben macht keine Ausnahme. Es geht alle an, jede und je-den einzelnen von uns. Sterben lässt sich nicht abschieben, weder zeitlich noch räumlich. Der Tod lässt kein Alter aus und schert sich nicht um all die sonst so scheinbar wichtigen Unterscheidungen zwischen Menschen.
Der Ewigkeitssonntag ist ein tiefsinniger Festtag. Wir denken an die, die gegangen sind und sind dankbar, was sie uns waren und sind. Wir bedenken, dass auch wir sterben werden und werden darüber klug. Dazu braucht es nicht viel Bücherwissen, kein Surfen im Internet. Klug ist und wird, wer mit allen Sinnen und dem Verstand lebt. Wer über den Horizont des Daseins hinausschaut. Denn, da, hinterm Horizont geht´s weiter. Ewig.