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von Team gdw

Was eine Todesnachricht mit dem Gehirn macht

Die Nachricht vom Tod eines geliebten Menschen setzt unser Gehirn einem extremen Stress aus. Dabei werden zunächst weniger die Teile des Gehirns stimuliert, die für bewusstes Denken zuständig sind, nein, eine Todesnachricht aktiviert in uns ganz akut den “Achtung-große-Gefahr!"-Modus.

Trauer ist ein Weg. Kein genormter, bei allen Trauernden gleich verlaufender Weg, aber doch eben so, dass wir unseren Weg durch die Trauer nur Schritt für Schritt finden können. Hier möchte ich Ihnen vom ersten Schritt erzählen, also von der Herausforderung, die die Trauer überhaupt erst in Gang bringt. "Das Unbegreifliche begreifen:" So lautet diese erste Herausforderung.

In diesem Modus ertüchtigt unser Gehirn uns für einen Überlebenskampf, so als würden wir von einem Raubtier angesprungen. Die unmittelbar lebensrettenden Reaktionen werden dadurch begünstigt, dass wir gleichzeitig mit Cortisol und Betaendorphinen geflutet werden. Das Cortisol begünstigt unsere Leistungsfähigkeit und Aufmerksamkeit. Während die Betaendorphine sozusagen das hocherhitze Gehirn runterkühlen, damit wir funktionieren, aber nicht kollabieren.

Trauernde fühlen sich in den ersten Tagen oft "wie unter Strom”, andererseits “in Watte gepackt”. Der Eindruck, “sich gar nicht mehr runterfahren zu können” und gleichzeitig “alles wie in Trance zu erleben” ist belastend und verstörend. Aber sie ist eine durch den Stressmodus unseres Gehirns naheliegende und normale Reaktion.

Normal ist dabei auch, dass der oder die Trauernde in dieser Situation den Tod des geliebten Menschen schlichtweg nicht wahrhaben will und kann. “Ich denke immer noch, dass er jeden Moment zur Tür reinkommen muss” sagt eine Frau, die ihren Ehemann durch einen Autounfall verloren hat. Denn solange unser Gehirn uns akute Gefahr signalisiert, solange es uns um unser Überleben zu kämpfen hilft, lassen wir keine Informationen an uns heran, die uns ablenken oder schwächen könnten. Deshalb fällt es Trauernden in den ersten Tagen schwer, zu realisieren, dass der geliebte Mensch tatsächlich tot ist.

“Die erste Aufgabe der Trauer ist es, den Tod zu begreifen, d.h. die kaum zu fassende Tatsache des Todes überhaupt zu realisieren”, schreibt die Trauerexpertin Kerstin Lammer in ihrem Buch “Trauer verstehen” und fährt fort: “Das ist die Voraussetzung für alle weiteren Schritte der Verlustbewältigung".

Früher gab es eine Kette von Ritualen, die dabei halfen, den Tod als Realität zu begreifen. Das Schließen des Sargdeckels bei der Aussegnung, wie der Tote aus dem Haus getragen wurde, das Herabsenken des Sarges ins Grab oder auch das gemeinsame Waschen und Einkleiden des Verstorbenen machten es den Hinterbliebenen möglich, "den Tod zu realisieren".

Diese Konfrontation mit dem Tod als Realität ist schmerzhaft! Aber für viele Trauernde ist sie zugleich der Beginn eines Weges, um irgendwann und irgendwie mit dem Verlust umgehen zu können: Den Vertrobenen als tot zu begreifen ist schmerzhaft. Aber es ist der erste Schritt, um sich auf ein Leben ohne ihn einzulassen.

 

Hier finden Sie ein Beispiel aus der Praxis, in dem die Trauerexpertin Kerstrin Lammer schildert, wie eine Mutter den Tod “begreifen” muss: https://www.gedenkenswert.de/impulsmagazin/Den_Tod_begreifen__Eine___moeglicherweise_notwendige___Zumutung