© Bild:

von Rainer Liepold

Ein Hoffnungsbild

Die Stola, die ich bei Beerdigungen über dem Talar trage, hat eine besondere Geschichte. Eine Konfirmandin hat sie für mich gemalt - und für sich selber: Als Gegenbild gegen ihren Trauerschmerz.

Manchmal versteht man den tieferen Sinn eines Erlebnisses erst nach Jahren. Mit Blick auf die Stola, die mir von einer 14-jährigen nach der Konfirmandenfreizeit geschenkt wurde, ist das ganz eindeutig so. Nur Schritt für Schritt habe ich verstanden, was mir da anvertraut wurde.

Gefreut habe ich mich - sofort! “Weil es wie von selbst ging, dass wir den 23. Psalm auswendig konnten, habe ich Ihnen das gemacht…” sagte sie und überreichte mir eine Stola, die aus einem zerschnittenen Bettlaken gestaltetet ist. Eines der Sprachbilder aus dem Psalm hat sie darauf gemalt: “Gott weidet mich auf einer grünen Aue”.

Ein paar Wochen später schiebt sie noch eine Information nach: “Meine Mutter ist gestorben, als ich elf Jahre alt war” - sagt sie - “Diesen Psalm zu entdecken, hat mir gutgetan. Ich kann ihn immer noch auswendig und spreche ihn oft vor dem Schlafengehen.”

Die Konfirmanden mussten den Psalm nicht “büffeln”, sondern wir haben ihn in Form einer Pantomime, eines Tanz und einer Fotostory erkundet. Am Ende konnten ihn alle, wie von selbst. Doch dass mir die Konfirmandin erzählt, dass sie bereits Halbweise ist, wa machte mir klar: Diese Stola ist mehr, als ein Lob für guten Unterricht.

Jahre später lese ich ein Buch von einer Psychotherapeutin. Sie heißt Luise Reddemann und hat sich auf die Therapie von traumatisierten Menschen spezialisiert. “Imagination als heilsame Kraft” lautet der Buchtitel.

Darin schreibt sie: “Es gibt Möglichkeiten, etwas gegen unangenehme Gedanken zu tun. Wir sprechen davon, sie zu verscheuchen. Zu diesem Zweck empfehlen wir, bewusst ein Gegenbild zu dem Schreckensbild zu finden. (…) Wir schlagen vor, der Schreckenswelt nach und nach eine innere Gegenwelt entgegenzustellen”

Reddemann dokumentiert dann, was für Bilder ihre Klientinnen gemalt haben, um sich aus dem Trauma herauszuimaginieren.

Mir ist dabei klar geworden, was für eine Bedeutung die von der Konfirmandin gestaltete Stola wirklich hat: Der 23. Psalm wurde für sie zu einem Gegenbild für ihre Trauer. Er hat ihr einen Imaginationsraum eröffnet, in dem sie sich wohlgefühlt hat und den Schmerz überschreiben konnte.

Ja… - das ist Magie & Segen (und somit viel mehr als guter Konfirmandenunterricht)